Resteffekte von Training

Wieso Sprinten im Leistungssport mehr Aufmerksamkeit benötigt als die aerobe Ausdauer.

 

Take-Aways:

  • Kontinuierliche Ausdauerbelastungen (aerobe Ausdauer) bewirken mehr lokale Adaptionen als Sprinttraining
  • Die Sprintfähigkeit benötigt schneller spezifische Trainingsstimulationen, um auf Maximalniveau zu bleiben
  • Physiologischer und emotionaler Stress erhöht die katabolischen Prozesse
  • Sprinte regelmäßig!

 

Theoretischer Hintergrund

Durch Training generieren wir verschiedene Trainingseffekte. Das am wenigsten untersuchteste Merkmal der Trainingseffekte ist der Resteffekt des Trainings (RET), der die verbleibenden Veränderungen („Spuren“) durch ein systematisches Training über einen gewissen Trainingszeitraum nach dem Abschluss des Trainings bezeichnet.

Eine gezielte körperliche Belastung bewirkt entsprechende organische, morphologische und funktionelle Umformungen unseres Körpers. So kann ein Krafttraining über viele Jahre Skelettveränderungen hervorrufen, die lange Zeit nach Aufgabe des Sports noch erhalten bleiben. Ein Sprinttraining hingegen bewirkt beispielsweise eine enorme Zunahme der Kreatin-Phosphat-Kapazität. Dieser Effekt hält sich allerdings nur über ein paar Tage und ist spätestens nach zwei Wochen wieder auf Ausgangsniveau. In beiden Fällen handelt es sich um RET, im ersten um die langfristigen und im zweiten Beispiel um die kurz- und mittelfristigen RET.

Langfristige RET betreffen das Muskel-Skelettsystem, das neuromuskuläre System und das Herz-Kreislauf-System. Unterschiede zwischen den Sportarten wie Laufen, Schwimmen oder Fußball sind bei den jeweiligen Sportlern offensichtlich und bedingt durch eine langfristige Adaption. Die Verlustrate dieser entstandenen Trainingseffekte dauert einige Jahre. Mittelfristige RET bleiben über einige Monate erhalten und äußern sich in Veränderungen des Herz-Kreislaufs-Systems oder der neuromuskulären Koordination. Beide Resteffekte bilden den Hintergrund des Zustands und der Reaktion des Sportlers.

Kurzfristige RET werden direkt durch ein ausgeführtes Trainingsprogramm hervorgerufen und bestimmen den aktuellen Trainingszustand des Sportlers und bilden somit die Grundlage für das Trainingsdesign. Die Dauer von kurzfristigen RET ist entscheidend für die Trainingssteuerung spezifischer Fähigkeiten innerhalb eines Trainingszyklus.  Im Leistungssport kann es zu einem selektiven Detraining (dem Verlust von „Trainiertsein“) für eine gewisse Fähigkeit kommen, wenn sie nicht genügend Trainingsreize erhält. Deshalb sollte die Dauer von kurzfristigen RET genau beobachtet werden, um unterschiedliche Trainingszyklen darauf abzustimmen.

Aerobe Trainingseinheiten verursachen mehr lokale Adaptionen als Sprinttraining

Die Verlustrate verschiedener konditioneller Fähigkeiten (z.B. Ausdauer, Kraft, Schnelligkeit) ist sehr unterschiedlich, einige physiologischen Systeme behalten ihr gesteigertes Adaptionsniveau länger als andere. Dafür verantwortlich sind hauptsächlich die Rate der physiologischen Veränderungen durch Training, die Menge der Enzyme für die Regulierung von biochemischen Reaktionen und die Verfügbarkeit von Energiereserven (Glykogen, Kreatinphosphat, etc.).

Eine Steigerung der aeroben Leistungsfähigkeit (z.B. Dauerlauf) bestimmt die Zunahme der Kapillardichte, der Glykogenreserven und der Menge von aeroben Enzymen (40 – 90%). Wegen dieser ausgeprägten morphologischen und biomechanischen Veränderungen bleibt die aerobe Leistungsfähigkeit für einige Wochen auf einem fast maximalen Niveau erhalten.

Lokale Adaptionen von Sportlern nach einem Sprinttraining wie die Zunahme des Kreatinphosphat-Speichers (2 – 5%), die maximale Laktatakkumulation (10 – 20%) und die Zunahme von anaeroben Enzymen (2 – 20%), sind viel geringer. So bleiben die anaeroben Fähigkeiten (z.B. Sprinten) viel kürzer auf dem (fast) maximalen Niveau. Die Veränderungen durch das Training der maximalen Schnelligkeit basieren auf höchst präzisen neuromuskulären Interaktionen. Deshalb sind diese nicht sehr stabil und benötigen adäquate spezifische Trainingsstimulationen um auf Maximalniveau gehalten werden zu können.

Fazit für die Praxis

Um die maximale individuelle Sprintfähigkeit eines Sportlers aufrechtzuerhalten, bedarf es regelmäßiger Stimulationen (spätestens alle 5 Tage). Die aerobe Ausdauer, also z.B. ein kontinuierlicher Dauerlauf, kann viel länger auf Maximalniveau gehalten werden (ca. 30 Tage).

Deshalb ist es sinnvoll, neben standardmäßigen Dauerläufen, vor allem das Sprinten in der trainingsfreien Zeit zu trainieren. Denn neben den leistungssteigernden Effekten beugt ein regelmäßiges Sprinttraining Verletzungen vor, insbesondere der hinteren Oberschenkelmuskulatur (Dorn et al., 2012).

Zusätzlich kann physiologischer und emotionaler Stress eine Verkürzung der RET von Maximal- und Explosivkraft bewirken.

 

Die Inhalte dieses Artikels basieren auf dem Originalartikel von Issurin & Lustig „Klassifikation, Dauer und praktische Komponenten der Resteffekte von Training“, die 2004 in der Zeitschrift „Leistungssport“ veröffentlicht wurde.

Literaturverzeichnis

Dorn et al. (2012). Muscular strategy shift in human running: dependence of running speed on hip and ankle muscle performance.

Issurin V, Lustig G. Klassifikation, Dauer und praktische Komponenten der Resteffekte von Training. Leistungsport 2004;34:3:55-9.

Zatsiorsky, V. M. (1995). Science and practice of strength training (p. 243). Champaign (IL.): Human Kinetics.